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Fachwissen Swiss Medtech Expo 2023

Chancen & Risiken für die Medizintechnik

Am 1. Juni 2023 ist das EU-Einheitspatent in Europa gestartet, das die Möglichkeiten für Patentschutz in Europa erweitert. Medtech-Unternehmen sollten dies in ihrer Patentstrategie berücksichtigen.

Keller Schneider Patent- und Markenanwälte AG
Bern, Schweiz

Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) im Bereich der Medizintechnik ist der Schutz des geistigen Eigentums ein wesentliches Element ihrer Geschäftsstrategie. Dabei sind Patente besonders wichtig, da sie das ausschließliche Rechte verleihen, eine Erfindung für einen bestimmten Zeitraum zu nutzen, zu verkaufen oder zu lizenzieren, was innovativen Unternehmen einen erheblichen Wettbewerbsvorteil verschafft. 

Wie war das bisher? 

Bislang gab es nur zwei Möglichkeiten, Patentschutz in mehreren europäischen Ländern zu erlangen. So kann in jedem europäischen Land, in dem Patentschutz gewünscht wird, einzeln ein Patent beantragt werden. 

Je nach Anzahl der gewünschten Länder ist das entsprechend aufwendig und teuer. In jedem Land wird geprüft, ob die Erfindung patentwürdig ist, was zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, sodass für ein und dieselbe Erfindung in einem Land ein Patent erteilt und in einem anderen Land verweigert werden kann. 

Um dies zu vereinheitlichen, wurde vor 50 Jahren das Europäische Patentamt (EPA) gegründet, das neben dem nationalen Weg eine zentrale Möglichkeit bietet, europäische Patente zu erteilen. Die rechtliche Grundlage dafür, das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ), zählt mittlerweile 39 Mitgliedsstaaten, wirkt also auch über EU-Grenzen hinaus.  

Ein Europäisches Patent kann somit auch für Drittstaaten wie das Vereinigte Königreich oder die Schweiz erteilt werden. Allerdings zerfällt das Europäische Patent nach der zentralen Patenterteilung durch das EPA in viele einzelne nationale Patentrechte, was dem bisherigen Europäischen Patent auch den Spitznamen „Bündelpatent“ eingebracht hat. Verlängerungsgebühren für das Patent müssen dann in allen Mitgliedsstaaten des EPÜ, für welche Patentschutz gewünscht ist, separat entrichtet werden. Auch die Durchsetzung des europäischen Patents erfolgt auf Basis dieser nationalen Teile in jedem Land einzeln. 

In einer globalisierten Welt, in welcher Produktpiraten insbesondere auf dem europäischen Binnenmarkt grenzüberschreitend tätig sind, ist das nicht mehr zeitgemäß. 

Was ist neu? 

Am 1. Juni 2023 ist ein neues Patentsystem in Europa gestartet, das weitere Optionen für strategischen Innovationsschutz bietet. Das neue System umfasst zwei Elemente – das EU-Einheitspatent und das europäische Einheitspatentgericht (EPG), das oft mit der englischen Bezeichnung „Unified Patent Court“ (UPC) in Erscheinung tritt. 

Insbesondere die Einführung des EPG ist ein Meilenstein für die EU, denn erstmals in der Geschichte der Europäischen Union konnte sich ein Großteil der EU-Staaten darauf einigen, ein gemeinsames Gericht für wirtschaftliche Streitigkeiten zu schaffen, dessen Urteile unmittelbar in mehreren EU-Staaten vollstreckbar ist. 

Das neue Patentsystem kann für innovative Medizintechnikunternehmen Vorteile bringen, wenn bisherige Patentstrategien überdacht und insbesondere Kosten und Kostenrisiken neu bewertet werden. 

 

Wie erhält man ein Einheitspatent? 

Seit 1. Juni 2023 können Inhaber eines Europäischen Patents innerhalb einer Frist von einem Monat nach der Veröffentlichung der Patenterteilung beantragen, dass das Europäische Patent einheitliche Wirkung haben soll. Ein europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung wird als Einheitspatent bezeichnet. Möglich macht das neue Patent eine Zusammenarbeit von 24 EU-Mitgliedsstaaten, von welchen 17 bereits alle Voraussetzungen für die Teilnahme an dem neuen Einheitspatentsystem erfüllen. Ein Einheitspatent ist derzeit also in 17 EU-Staaten wirksam. 

Die Verlängerungsgebühren für ein Einheitspatent sind nicht mehr national zu entrichten, sondern werden zentral vom Europäischen Patentamt erhoben. Die Höhe der Kosten entspricht ungefähr der Summe der Kosten, die für vier nationale Teile eines europäischen Bündelpatents erhoben werden. Insbesondere für Medizintechnikunternehmen mit einem breiten europäischen Absatzmarkt kann dies zu einer Kostenersparnis führen. 

Für Nicht-EU-Staaten kann ein Einheitspatent nicht beantragt werden. Für einen Patentschutz im Vereinigten Königreich oder in der Schweiz müssen also weiterhin nationale Patente oder nationale Teile eines europäischen Bündelpatents genutzt werden. Leider verweigern auch einige EU-Staaten, allen voran Spanien, die Teilnahme am neuen System. 

 

Was macht das einheitliche Patentgericht? 

Um sicherzustellen, dass über die neuen europäischen Einheitspatente einheitlich Recht gesprochen wird, gehört zur EU-Patentreform auch die Errichtung des Einheitlichen Patentgerichts (EPG). Das EPG ist zuständig für alle Klagen aus oder gegen Einheitspatente. Die Urteile und Beschlüsse, die das neue Patentgericht erlässt, sind dann in allen 17 EU-Ländern des Einheitspatentsystems vollstreckbar. Die Verfahren vor dem EPG sind sehr gestrafft und sollen innerhalb von zwölf bis 14 Monaten zu einer Entscheidung führen. Das bietet im Verglich zu bisherigen Patentverfahren eine schnelle Rechtssicherheit. 

Das neue Patentgericht befasst sich nicht nur mit der Frage, ob ein Produkt ein bestehendes Patent verletzt. Vielmehr kann vor dem EPG auch Klage gegen ein Patent eingereicht werden, beispielsweise wenn nachgewiesen werden kann, dass die patentgeschützte Erfindung gar nicht neu war und das Patent somit nicht hätte ereilt werden dürfen. 

Der Haken an der Sache ist nun, dass das EPG nicht nur über die neuen europäischen Einheitspatente urteilt. Der europäische Gesetzgeber wollte sicherstellen, dass das neue Gericht vom ersten Tag an beschäftigt ist und nicht auf die ersten Einheitspatente warten muss. Daher wurde dem EPG auch die Zuständigkeit für schon bestehende europäische Bündelpatente zugewiesen. 

Kurzum, alle europäischen Patente können nun mit einer zentralen Klage angegriffen werden. Ist die Klage erfolgreich, werden alle nationalen Teile des Bündelpatents, die in einem der 17 Länder des Einheitspatentsystems wirksam waren, mit einem einzigen Urteil vernichtet. Das EPG tritt dabei neben die nationalen Gerichte, d.h. der Kläger kann bei europäischen Bündelpatenten wählen, ob er einen einzelnen Teil des Bündelpatents vor einem nationalen Gericht verhandelt oder zentral gegen alle nationalen Teile vor dem EPG vorgeht. 

Das Risiko einer zentralen Vernichtung bisheriger europäischer Patente lässt sich reduzieren, indem man aktiv wird und das jeweilige Bündelpatent von der Zuständigkeit des EPG ausschließt. Dazu ist ein entsprechender Antrag („Opt-Out“) beim Einheitlichen Patentgericht zu stellen. 

In den meisten Fällen dürfte das nicht sinnvoll sein. Bei Patente, die Marktbegleiter massiv stören oder an welchen hohe Lizenzeinnahmen hängen, könnte dies im Rahmen einer Risikoabwägung jedoch anders zu bewerten sein. Schon allein dazu sollten sich Patentinhaber gut beraten lassen, denn die Kosten eines Patentstreitverfahrens vor dem neuen Patentgericht können sehr hoch werden. 

 

Wie hoch sind die Kosten? 

Bei den Kosten ist zu unterscheiden zwischen den Kosten für den Patentschutz einerseits und den Kosten für die Durchsetzung bzw. Verteidigung eines Patents andererseits. Die jährlichen Gebühren für die Aufrechterhaltung eines Einheitspatents, das derzeit in 17 Ländern wirksam ist, sind etwa so hoch wie für die Aufrechterhaltung eines europäischen Bündelpatents in vier EPÜ-Mitgliedsstaaten. 

Unternehmen, die großflächigen Patentschutz in Europa benötigen, können damit tatsächlich Kosten sparen. Im internationalen Vergleich bleibt Patentschutz in Europa jedoch teuer, denn die Verlängerungsgebühren für ein Einheitspatent summieren sich über die gesamte 20-jährige Laufzeit auf etwa 35.000 Euro. 

Eine Vergünstigung für KMU gibt es faktisch nicht. Ein US-Patent, das einen ähnlich großen Markt abdeckt, schlägt hier mit nur etwa 13.000 Euro zu Buche, wobei sich diese Gebühren für KMU nochmals um mehr als die Hälfte reduzieren. 

Bei der Patentdurchsetzung und der Verteidigung von Patenten vor dem neuen Patentgericht greifen Festgebühren für das Gericht und zusätzlich variable Gebühren für Gericht und Anwälte, die vom Streitwert abhängig sind. Weil europäische Patente einen großen Markt von bis zu 17 Ländern betreffen, ist mit hohen Streitwerten im siebenstelligen Bereich zu rechnen. 

Die Verfahrenskosten, d.h. Gerichts- und Anwaltskosten, hat am Ende der Verlierer des Verfahrens zu tragen. Das ist ein erhebliches Kostenrisiko, das strategisch zu berücksichtigen ist, wenn Patentklagen vor dem EPG eingereicht werden sollen oder dem eigenen Unternehmen drohen. 

 

Was ist zu tun? 

Medtech-Unternehmen, insbesondere KMU, sollten sich schnell mit den erweiterten Möglichkeiten des Patentschutzes in Europa auseinandersetzen und ihre Patentstrategie neu denken. Diejenigen Unternehmen, die umfassend über die eigene Produktpalette und deren Absatzmärkte sowie die Produkte, Standorte, Märkte, Patentaktivitäten und Streitbereitschaft ihrer Wettbewerber informiert sind und diese Informationen nutzen, um den Schutz der eigenen Innovationen strategisch zu planen, werden Kosten und Wettbewerbsvorteile haben. 

Eine gute Patentstrategie ist bestenfalls in ein Innovationsmanagement eingebettet, das nicht nur Patente, sondern insbesondere auch den Schutz technischer Entwicklungen durch Gebrauchsmuster, den Schutz von Produktdesigns, einschließlich grafischer Benutzeroberflächen und Icons, sowie den Schutz von Geschäftsmodellen durch Markenrechte berücksichtigt. 

Insbesondere Startups sollten an dieser Stelle kostenbewusst, aber nicht zurückhaltend sein, denn erst Patente, Designs oder Marken machen eine Idee zur handelbaren Ware und locken Investoren. 

Ihre Kontaktperson

H

Hannah-Laura Frisch

Office Managerin
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